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Was die Gesellschaft missverstanden hat – Die Bildungsdebatte

Silvano D'Agostino

Disclaimer: Der folgende Text wurde spät in der Nacht auf dem iPhone verfasst und nur einmal grob überarbeitet; Gedanken mögen deshalb nicht ganz so ausführlich beschreiben sein.

Update 2016: Ich stehe zu dem generellen Inhalt und der generellen Aussage dieses Artikels, wenngleich ich ihn heute etwas weniger auf mich bezogen formulierte—und damit den Arroganzfaktor stark zu senken suchte.

Henning Sussebach wandte sich geradezu herzzerreißend an seine Tochter Marie, um ihr davon zu berichten, wie schrecklich ihre Kindheit und die Erwartungen an sie seien. Während das zwar gut klingt und zum Teil sicherlich auch stimmt, ist das Problem, das sich im deutschen Bildungssystem zweifelsohne finden lässt, mal wieder völlig verfehlt worden.

Ich habe das große Glück, der Bildungswüste Deutschland durch den Doppelabschluss des Internationalen Baccalaureates und des Abiturs zumindest zum Teil entgehen. Wie bitte? Zwei Abschlüsse? Ja, zwei Abschlüsse. Gleichzeitig. Innerhalb von zwölf Jahren. Elf, wenn man die im Ausland verbrachte zehnte Klasse abzieht. Kann das denn gut gehen? Ja, das kann sogar sehr gut gehen. Zweifelsohne bin ich mit besonderen Fähigkeiten gesegnet, denn einen Großteil meiner Zeit verbringe ich mit außerschulischen Projekten. G8 ist mein Segen, ich wäre mit G9 tragisch unterfordert gewesen – und kenne Schüler, die das Bundesland und damit zu G9 wechseln mussten, was nicht unbedingt positive Auswirkungen hatte. Der Punkt ist dennoch folgender: G8 ist nicht für jedermann. Sussebach zitiert die Statistik selbst: 20-30% der Schüler profitieren von der verkürzten Schulzeit.

In etwa zeitgleich mit der G8-Debatte kommt auch die Diskussion um die Akademisierung meiner Generation wieder voll in Schwung. Selten jedoch habe ich die beiden verbunden gesehen – leider, denn sie gehören zusammen wie unsere Demokratie und das dahinterstehende Volk.

Bei einer Debatte zum Thema Bildung mit einem finnischen Lehrer sowie verschiedenen Pädagogen und Schülern formulierte ich meine Gedanken in etwa wie folgt: "So schön die Berichte unseres finnischen Gastes auch klingen mögen, so sehr wir auch hören möchten, was sie sagt, genauso falsch ist es auch. Es tut mir Leid, aber ich muss diese drastische Wahrheit an dieser Stelle einmal aussprechen, wie sie ist: Nicht jeder hat eine besondere Begabung. Diejenigen, die sie aber haben, unsere geistige Elite, muss gefördert werden, damit sie uns weiter voranbringen kann! […] Vielleicht sollten sich die Bulemielerner unter uns fragen, ob sie dazu gehören." Zugegeben, das war provokant formuliert, doch es ist auch eine dieser Wahrheiten, die man in einer politisch korrekten Welt nicht mehr aussprechen darf. Spätestens als ich das Wort Elite in den Mund nahm, hatte ich die Teilnehmer in wenigen Sätzen komplett polarisiert.

Wo ist nun also der Zusammenhang zwischen G8 und der Akademisierung? Das Problem unseres Bildungssystems liegt nicht primär am System. Jegliche Studien ergeben ein ums andere Mal, dass die Schulzeit (und auch die Klassengröße) nicht relevant für das Endergebnis der Bildung sind. Nein, das Problem liegt tiefer: In der gesellschaftlichen Akzeptanz der unterschiedlichen Schulabschlüsse. Woher kommt der Gedanke, dass man ein gutes Abitur benötige, um im Leben erfolgreich und glücklich zu sein, dass man überhaupt das Abitur ablegen muss, um ein Jemand in unserer globalisierten Welt zu sein? Wir müssen weg von diesem Denken! Nicht jeder ist ein Einstein, das ist allein genetisch nicht gegeben. Aber ich habe auch eine gute Nachricht: Es ist alles andere als nötig, dass wir alle zu Einsteins werden. Ganz im Gegenteil: Genau diese Diversität an verschiedenen Begabungen, von denen manche alles andere als akademisch sind, brauchen wir.

G8 verdeutlicht uns nur die zugrundeliegende Problematik, doch wir sehen den Text vor lauter Klausuren nicht mehr – ich kenne niemanden, der ein Gymnasium besucht und dem G8 wirklich schwerfällt, den ich als kompetent und intelligent bezeichnen würde. Nur für diese Leute, sollte das Gymnasium und auch ein Studium gedacht sein. Auch wenn es für mich persönlich nie in Frage käme – warum sollte eine Lehre weniger Wert sein als ein Studium? Warum wird einem das Gefühl vermittelt, ohne das Abitur ohnehin nichts werden zu können?

Sussebach sieht die Gründe in der Globalisierung. Er hat wohl nicht ganz Unrecht und in diesem Punkt stimme ich mit ihm überein: Das muss sich ändern. Es kann nicht sein, dass Kinder von Depressionen und Burnouts aufgrund der Schule betroffen sind (auch wenn ich Kritik am Kapitalismus und der Globalisierung anhand letzterer bei Erwachsenen ähnlich beschreiben würde wie Kritik an G8 aufgrund zu wenig Freizeit – Problem verfehlt und ein bisschen trendy).

Doch hier scheiden sich unsere Wege dann auch schon wieder. G8 ist nicht das Problem. Niemandem müsste ein Jahr ihres Lebens geklaut werden. Niemand müsste 40 Stunden pro Woche arbeiten, um erfolgreich sein zu können. Wenn Marie sorgenfrei eine gute Realschule besuchen würde, sollte sie trotzdem ein wundervolles Leben führen können – nur eben nicht als Abiturientin.